Quarantäne-Tagebuch – Ein Psychogramm

Corona, Lockdown, Lockerungen: Was bisher geschah!

Der Lockdown und die Schul- und Kitaschließungen haben unserer vierköpfigen Familie einiges abverlangt in den letzten Wochen. Wir haben zwischen Arbeit im Homeoffice inklusive der technischen Anlaufschwierigkeiten, dem Homeschooling eines Erstklässlers, der Bespaßung eines Kindergartenkindes sowie der ungeliebten Kocherei für eine undankbare, da wenig experimentierfreudige und kompromissbereite Zielgruppe, hin und her jongliert. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich in dieser Zeit Nudeln gegessen habe und die Spülmaschine ein- und ausgeräumt habe.

Gearbeitet haben wir Eltern seit diesem schicksalsträchtigen Freitag, den 13. März 2020 nacheinander. In Schichten, verteilt über 20 Stunden am Tag an 6 Tagen die Woche. Das allein war schon herausfordernd. Oder sagen wir einfach: anstrengend. Sehr anstrengend.

Dann kamen die Lockerungen. 1 Tag Schule in der Woche. Was für ein Segen! Zumindest das eine Kind so ausgeglichen und gelöst zu sehen, als ich es zwar mit Mundschutz aber Fußball spielend auf dem Schulhof abhole. Ich hätte heulen können vor Freude. Nach der langen Zeit der sozialen Isolation wieder eine Horizonterweiterung. Ich selbst treffe mich mit Freundinnen auf einen Social Distance Walk durch den Park oder sehe Freunde und Familie im Freien und es kommt immer mehr Normalität und Lebensfreude zurück. 

Dann kommen die nächsten Lockerung: Treffen mit bis zu 10 Personen sind erlaubt. Es kehren mehr und mehr Kollegen zurück ins Büro. Die sehr auf Effizienz getrimmte und um Wohlfühl-Faktoren wie Small Talk reduzierte Remote-Arbeit weicht mehr und mehr wieder persönlichen Kontakten. Mit sinnvollen und akzeptablen Kontakt- und Hygienevorschriften.

Gerade für mich als Personaler wird die Arbeit wieder abwechslungsreicher und nicht mehr so stark von allen Adhoc- Themen und Maßnahmen rund um Corona bestimmt.

Am Freitag, dem Brückentag nach Fronleichnam, ist bestes Wetter in Köln vorhergesagt und ich treffe mich mit Kollegen und Kolleginnen zu einem Feierabendkölsch vom Büdchen am Rhein. Es ist fast wie früher. Mehr Abstand, immer noch ein paar Corona-Themen, aber ansonsten ist es sehr ausgelassen und fröhlich. Wir planen eine gemeinsame Wandertour.

Ich komme gut gelaunt und nur leicht angetrunken gegen 20:00 Uhr nach Hause, um die Kinder ins Bett bringen zu können. Als die Kinder schlafen, sitzen mein Mann und ich auf dem Balkon. Gegen 21 Uhr klingelt sein Handy. Mein Mann ist Selbständig und arbeitet in der Film- und Fernsehbranche. Für Montag hat er einen Job an einem Filmset angenommen und die Produktionsfirma hat prophylaktisch alle Set-Mitglieder freitags zu einem Corona-Test geschickt.

Es meldet sich ein Mitarbeiter des Labors und teilt meinem Mann mit, dass sein Testergebnis positiv ist. What???

Tag 1: Die Kunst der Verdrängung

Ich habe verhältnismäßig gut geschlafen und komme mir total aufgeräumt vor. Am Vormittag lese ich die WhatsApp einer Freundin. Sie fragt, wie es mir geht. Ihr Mann hat durch meinen von dem positiven Corona-Test erfahren und sie weiß, wie sehr ich bereits unter dem Lockdown gelitten habe.

Ich verstehe die Frage noch gar nicht und sage: Gut! Weil körperlich, in Zusammenhang mit der Diagnose Corona, ist das ja so. Darauf zielte die Frage doch sicher ab, oder?

In einem anderen Chat, in dem ich einen geplanten Termin für das kommende Wochenende absage, mache ich noch Witze. Soviel ist seit gestern Abend klar, wir müssen wieder in Quarantäne für zwei Wochen. Das waren wir Anfang März schon mal, als mein Mann aus dem Skiurlaub in Kitzbühel zurück gekommen ist. Ich witzele also, dass das Schlimmste ist, meinen für Donnerstag  geplanten Frisörtermin abzusagen. Den ersten seit Oktober letzten Jahres und durchaus überfällig.

Ich chatte mit meinen Mütter-Freundinnen – die immer bestens informiert sind – zum Thema Corona-Test und wo man sich testen lassen kann. Es ist Wochenende und die Uniklinik macht am Wochenende keine Tests mehr. Wieso auch? Die Infektionszahlen sind rückläufig und aktuell gibt es in der Millionenstadt Köln gerade mal 45 registrierte Corona-Fälle.

Ich werde im Laufe des Tages zunehmend ungeduldiger. Ich will wissen, ob ich auch infiziert bin. Ich mache online einen Termin für Montag. Aber was ist mit den Kindern? Soll ich jetzt über dieses doofe Tool für jeden einzeln einen Termin machen und bekomme dann Timeslots über den gesamten Tag zugewiesen? Das kann ja nicht sinnvoll sein. Ich entscheide, am Montag Morgen in dem Labor anzurufen, was immerhin in der Lage war, bereits am Testtag das Ergebnis durchzugeben, um einen Gemeinschaftstermin für und alle drei auszumachen.

Der Tag plätschert so dahin und ich realisiere langsam, was mich erwartet. Mein Mann telefoniert mit allen Leuten, die er so in den letzten Tagen gesehen hat. Ich fange an, in mich hineinzuhorchen. Kratzt der Hals vielleicht ein bisschen? Bin ich nicht irgendwie warm?

Tag 2: Der Versuch, das Unerklärliche zu verstehen

Ich wache schon mit Kopfschmerzen auf. Es ist Sonntag. Die Nacht war nicht gut. Die Gedanken kreisen. Wo soll dieses f*cking Virus denn jetzt plötzlich herkommen? Aus der Schule, aus dem Kindergarten, aus meinem Büroumfeld? Mein Mann hockt seit drei Monaten im Homeoffice und geht maximal alle drei Tage mal einkaufen.

Ich will auch wissen, ob ich Corona habe und das am besten sofort. Ich muss ja schließlich im Fall der Fälle auch alle möglichen Leute informieren. Noch will ich niemanden unnötig in Panik versetzen. Blöderweise passiert das automatisch, wenn man das Wort Corona-Infektion in den Mund nimmt.

Gegen Mittag ruft eine Dame vom Gesundheitsamt bei meinem Mann an. Ich höre ein bisschen mit. Sie fragt alles Mögliche ab. Zu Symptomen (nein, keine) zu Kontaktpersonen (unerklärlich) und die beiden philosophieren darüber, ob der Test auch positiv sein kann, da mein Mann im März im Skiurlaub in Österreich war. Er hatte nach dem Urlaub diffuse Symptome, und womöglich war der damals durch mich (vermutlich semi-professionell) abgenommene Test falsch-negativ und dieses positive Ergebnis eine Nachwirkung der März-Infektion.

Das sei unwahrscheinlich, ebenso wenig, dass die Kinder und ich positiv getestet würden, da schließlich keiner von uns irgendwelche Symptome aufweise. Sie empfiehlt, nur dann einen Test zu machen, wenn einer von uns Symptome entwickelt und erklärt, dass wir von nun an für vier Wochen in Quarantäne müssen.

4 Wochen!!! Ich glaube, das was dann kam, war ein mittelschwerer Nervenzusammenbruch. Ich fange an zu hyperventilieren, weil ich einfach keine Luft mehr bekomme. Ich will nicht mehr, ich habe keine Kraft mehr. Gar keine. Nicht nach über drei Monaten. Wir haben uns gerade aus diesem Tal wieder ein wenig heraus gekämpft. Die Kinder dürfen wieder in Schule und Kindergarten gehen nächste Woche. Ich stehe wieder oben auf dem Berg und schaue stolz hinab ins Tal. Da kommt von hinten jemand und tritt mir die Beine weg. Ich rolle den Berg wieder runter und bleibe im Tal einfach liegen.

Es gäbe noch eine Möglichkeit, die vier Wochen auf zwei zu reduzieren: Die räumliche Trennung meines Mannes von mir und den Kindern in den nächsten zwei Wochen. Na klar, gar kein Problem in so einer Stadtwohnung, während ich ganz normal arbeiten muss und beide Kinder von nun an 24 Stunden ohne irgendeine Hilfe komplett allein betreue. Geht schon. Irgendwie.

Tag 3: Ein Tipp, der mich auf eine Idee bringt

Die Frau meines Schwiegervaters, die wir an Fronleichnam noch gesehen haben und die sich so für mich gefreut hat, dass ich wieder mein “altes Leben” zurück bekomme, schreibt mir: „Liebe Antje, es tut mir sehr Leid zu hören, dass alles doch anders kam als du/ihr gehofft habt. Eins kann ich dir nur empfehlen aus meinen schwierigen Zeiten: Schreib! Fühl dich umarmt.“

Ich glaube, das ist eine gute Idee. Ich muss das alles aufschreiben, um es irgendwann vielleicht besser verstehen zu können. Vielleicht auch, um später über all das schmunzeln zu können. Ich weiß noch nicht wofür, aber ich entscheide, dieses Tagebuch zu schreiben.

Mein Handy klingelt. gegen 9 Uhr. Irgendwer von irgendeinem Amt. Ob wir zu Hause sein (ja, wo sollen wir schon sein?!). Man würde gleich ein mobiles Testkommando zu uns schicken, die Abstriche von mir und den Kindern nehmen werden. Aha. Jetzt also doch? Wer hat die denn jetzt beauftragt?

Eine Stunde später stehen zwei Männer vor der Tür, die aussehen, als ob sie sich in ein radioaktives Gebiet begeben. Sie sind wirklich total nett, wollen aber überraschenderweise nicht in die Wohnung kommen und erklären also das Prozedere im Hausflur. Die Kinder finden das offenbar weniger befremdlich als ich melden sich freiwillig, um als erstes getestet werden zu dürfen. Ich bin als letztes dran und empfinde den Abstrich als sehr unangenehm.

Corona-Eltern
Corona-Eltern
Corona-Eltern
Corona-Eltern

Kinder sind super, das muss hier einfach mal gesagt sein. Das denke ich seit dem Lockdown schon. Mit welcher Selbstverständlichkeit die Kleinen sich ihrem Schicksal ergeben und sich gar nicht beklagen. Man kann so viel lernen von ihnen. Die Kinder finden es toll, dass sie seit Freitag Abend ihren Schlafanzug nicht ausziehen mussten und finden die erneuten Corona Ferien (noch) super. Sie dürfen den ganzen Tag Hörspiele hören und fernsehen und müssen nichts für die Schule machen. Denn dafür habe ich keine Kraft mehr.

Tag 4: Das große Grübeln

Ich werde am Dienstag Morgen früh wach und fange direkt wieder an zu grübeln. Kommt heute wohl das Ergebnis? Wenn der Anruf heute kommt, dann ist das Ergebnis positiv. Das behaupten zumindest alle, die diese Warterei auf die Testergebnisse schon mal mitverfolgt haben bei anderen.

Ein positives Testergebnis wird dann ggf. Auswirkungen auf die Schule, den Kindergarten und meine Kollegen haben. Mit einem mathematischen Zeichen, gleich mehrere Menschen in Isolationshaft versetzen? Nein, das möchte ich nicht.

Andererseits würde es mir eine – zumindest wahrscheinlich – entspanntere Zukunft bescheren. Ich hätte nicht mehr jeden Tag das Damoklesschwert der Infektionsgefahr und der Quarantäne über mir schweben. Das ist schon reizvoll. Sehr.

Ein negatives Ergebnis hingegen lässt mein Umfeld aufatmen, aber beschert uns weiterhin eine gewisse Unsicherheit bis zum Absitzen der Quarantäne-Zeit. Das Hineinhorchen wird dann weiter gehen: Kommt vielleicht doch noch was? Werde ich richtig krank? Die Kinder? Wie wird sich Covid-19 anfühlen? Corona bleibt also omnipräsent.

Heute bin ich sehr froh, arbeiten zu können. Das lenkt sehr gut ab und vermittelt mir ein bisschen das Gefühl von der Zugehörigkeit zu einem normalen Leben. Einem Leben außerhalb dieses Kokons. 

Meine Patentochter schreibt mir eine Nachricht, dass sie mir gerne etwas vorbei bringen will. Ich weine. Ich bin so gerührt. Und dann kommt auch schon der Anruf: Die Tests sind alle drei negativ! Die Freude über die Gelöstheit der “Betroffenen”, die ich umgehend auf allen Kanälen informiere, lässt mich etwas entspannter werden. 

Tag 5: Echt jetzt?

Es ist Mittwoch. Die Kinder haben sich tatsächlich umgezogen. Das erste Mal seit Freitag und das fast freiwillig. Ich hatte angekündigt, dass sie ausnahmsweise Trikots anziehen dürfen. Das ist normalerweise nur zum Fußball spielen oder gucken erlaubt bei uns. Es geht also aufwärts. Nicht mit dem FC aber mit meiner Stimmung. Kurzfristig, wie sich gleich herausstellen wird.

Um kurz nach 8 Uhr morgens klingelt das Handy meines Mannes. Ein Nachbar erkundigt sich, was zu beachten sei, weil sein Sohn doch vor einigen Tagen mit unserem Sohn auf dem Hof gespielt habe.

Ich merke, dass ich zunehmend aggressiv und zynisch werde. Ich denke: Gut, dass ich nicht am Telefon war. Ich hätte geantwortet: Ja, was ist zu beachten… Ich rate euch, in Zukunft jeglichen Sozialkontakt zu unterlassen. Verlasst das Haus nicht mehr. Insbesondere nicht, um den Müll zu entsorgen, denn das ist offenbar unverantwortlich und lebensgefährlich, so wie dieses gesamte verf*ckte Leben im übrigen lebensgefährlich ist.

Nur wäre das unfair gewesen. Natürlich will jeder wissen, sobald er von einer Corona-Diagnose im näheren Umfeld erfährt, was das für die eigene Person und für die eigene Familie bedeutet. Das Nachfragen ist also völlig legitim. Meine Nerven machen das aber nicht mehr mit. Ich fühle mich stigmatisiert und beginne den Wunsch nach einer neuen Identität in einer Art Corona-Diagnosen-Schutzprogramm zu entwickeln, in der mein Kind nicht das Kind in der Klasse ist, das Corona hat. Kann man ja auch alles ein bisschen abkürzen der Einfachheit halber. Wen interessieren schon Details.

Mein Mann hat übrigens freundlich und geduldig alle Fragen des Nachbarn beantwortet. Ich bin sehr neidisch auf dieses solide Nervengerüst!
Die Kinder spielen Super Mario und ich kann arbeiten, um mich abzulenken.

Tag 6: Ich fange an, sonderbar zu werden

Mal wieder um 5 Uhr wach! Warum kann man eigentlich so schlecht schlafen, wenn man will, dass Zeit schnell vergeht? Ich horche mal wieder in mich rein, ob ich irgendwas  ungewöhnliches fühle. Es ist Donnerstag und somit müsste doch nach der durchschnittlichen Inkubationszeit spätestens jetzt was zu spüren sein. Kratzt der Hals? Tut irgendwas weh? Nichts.

Ich fühle mich jeden Tag mehr zu unrecht eines Verbrechens angeklagt, in Untersuchungshaft gesteckt und dann dort vergessen. Ich empfinde diese Isolationshaft zunehmend als Körperverletzung und Eingriff in meine Persönlichkeitsrechte. Was für ein Glück, dass die Kinder wenigstens so gute Laune haben. Sie freuen sich auf das tägliche Hörspiel- und TV Programm. Erstaunliche Geschöpfe. Sagte ich das schon?

Ich freue mich auf meinen Arbeitstag. Wenn ich arbeiten kann, dann verstreichen die Tage nicht einfach nur. Einer wie der andere. Was für ein Segen, dass Remote-Arbeit tatsächlich möglich ist

Ich habe sehr viel Zeit zum nachdenken. Ich weiß natürlich, dass meine Situation verglichen mit anderen, die tatsächlich schwer an Corona erkrankt sind oder sich wirtschaftliche Sorgen machen müssen nicht im geringsten zu vergleichen ist. Nur hilft mir das auch leider nur geringfügig weiter, diesen Zustand auszuhalten. Es ist ein Aushalten und das wiederum lähmt mich, weil ich Kontrollverlust erlebe.

Tag 7: Besuchstag im Quarantäne-Knast

Wieder Wochenende. Mein Magen zieht sich zusammen. Normalerweise würden wir das Wochenende nutzen, um mit den Kindern irgendetwas zu unternehmen. Hauptsache raus aus der Stadt. Am liebsten zusammen mit Freunden oder der Familie treffen. Jedenfalls keinesfalls in der Wohnung rumhängen und schon gar nicht bei diesem Sommerwetter.

Ich tue mir selbst so dermaßen leid, dass es mir bereits langsam auf die Nerven geht. Ich sitze Zeit ab. Irgendwer stiehlt mir hier gerade einfach so Lebenszeit. Ich will Corona keinesfalls verharmlosen und ich bin mit meiner eigenen Verantwortung in dem ganzen System durchaus sehr bewusst. 

Aus meiner Vergangenheit in der Krankenpflege kenne ich noch zu gut den Begriff der Compliance: Wie gut halten sich Patienten an Behandlungspläne, z.B. in Bezug auf Ernährung, Bewegung, Medikamenteneinnahme. Ich merke, dass meine Compliance von Tag zu Tag sinkt.

Weil das alles so absurd ist. Weil es völlig unerklärlich ist, wo mein Mann sich akut hat anstecken können, weil wir in einer Wohnung isoliert voneinander leben müssen und weil keiner von uns irgendwelche Symptome aufweist.

Da fällt es einfach schwer, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme „Freiheitsberaubung“ zu akzeptieren. Stattdessen sagen einem also nicht wenige Leute: „Seid doch froh, dass es euch nicht so schwer erwischt hat“. Ja. „Seid froh, dass es euch wirtschaftlich gut geht“. Ja. „Das geht vorbei, haltet durch“. Ja. Alles richtig.  Heißt aber auch übersetzt: „Halt die Klappe und beschwere dich nicht, denn es gibt immer noch Leute, denen es viel schlechter geht als dir“. Das löst einen wahnsinnigen Konflikt in mir aus, denn natürlich ist das so. Gibt es immer. Leider ändert diese Tatsache so rein gar nichts an meinen Gefühlen und meiner Wahrnehmung. Ich bin hilflos.

Wir sind durch einen unerwarteten Zufallsbefund mit einer Diagnose konfrontiert worden, die einen Rattenschwanz an Maßnahmen nach sich gezogen hat und das in einem absolut standardisierten Verfahren. Es interessiert in diesem System keinen Menschen, ob mein Mann vielleicht positiv getestet wurde, aber gar nicht infektiös ist. Mittlerweile gehe ich da im Übrigen ganz stark von aus. Kein anderer aus seinem Umfeld ist positiv getestet worden. Nicht ich, nicht die Kinder und auch sonst niemand. 

Die Bewertung von Isolation ist für jeden unterschiedlich. Mein Vater hat zu mir gesagt: „Mein Leben hat sich durch Corona kaum geändert. Ich habe mein Haus, schaue in den Garten und gehe mit dem Hund im Wald spazieren. Zum einkaufen trage ich eben eine Maske.“ That’s it. 

Um uns ein bisschen selbst zu belohnen und aufzumuntern, haben wir Lego-Sets bestellt (jaja, ich weiß. Normalerweise supporte ich das Local Business, aber gerade ist mir das nicht möglich). Es klingelt an der Tür: Die Kinder sind ganz aufgeregt. Blöderweise ist es die Paketpost mit dem Hello Fresh Paket, das ich aus Verzweifelung, andernfalls zu verhungern, bestellt habe. Was habe ich ausgewählt? Abstellort: Hausflur? Damn. Weg ist er, der Paketmann. Ich darf aber nicht runter. Ich rufe eine Nachbarin an, deren Freund mir das Paket hoch bringt und bei der Gelegenheit direkt den Müll mitnimmt. Daran gewöhne ich mich nicht. Ständig jemanden um Hilfe bitten zu müssen. 

Nachmittags klingelt es wieder. Eine Freundin bringt mir Einkäufe vorbei. Währenddessen klingelt die Mutter eines Klassenkameraden, die uns Bücher vorbei bringt. Heute geht es bei uns zu wie im Taubenschlag. Total super, das mag ich! Und dann endlich: Der Paketbote mit dem Lego Star Wars X-Wing. Der Nachmittag ist gerettet…

Corona-Eltern
Corona-Eltern
Corona-Eltern
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Tag 8: Wahre Freunde

Gestern war dann doch irgendwie ein schöner Tag. Meine 11-jährige Patentochter hat uns ein weiteres Carepaket vorbei gebracht. Ein Nachbarsjunge ein Bild mit aufmunternden Worten vor die Tür gelegt. Eine Freundin hat Erdbeeren sowie Erdbeerlimes (allein der Anblick löst so viele positive Erinnerungen aus) vorbei gebracht und die Lehrerin meines Sohnes hat Bastelmaterial für ein Ballonmonster zusammengepackt.

All das sind kleine Aufmunterung, die tatsächlich helfen, dass wir uns besser fühlen. Wir sind nicht „aus den Augen, aus dem Sinn“. Wir haben Freunde, die an uns denken und die sich viele Gedanken machen, wie man uns die Zeit erträglicher zu machen. Das ist vielleicht das große Geschenk in jeder Krise: Das Erkennen, wer die Freunde und wer die Bekannten sind. Ein: „Meldet euch wenn ihr was braucht“ oder „Sagt bescheid, wenn ich was für euch tun kann“ ist schnell gesagt und vielleicht in einer Vielzahl der Fälle auch tatsächlich so gemeint. Es fühlt sich aber auch ein bisschen an wie eine heiße Kartoffel, die man ganz schnell wieder an den Werfer zurück geben möchte.

Wir haben aber auch das Gegenteil erlebt: „Ich gehe einkaufen, was kann ich euch mitbringen?“ oder „Ich komme gleich vorbei und lege euch etwas vor die Tür. Ich nehme dann auch direkt den Müll mit runter“. Gestern hatte ich ganz oft Tränen in den Augen bei jedem Klingeln und diesmal nicht, weil ich mir selbst so Leid tue (was ich aber selbstverständlich weiterhin tue – das muss muss man mir schon lassen), sondern weil ich dankbar für so tolle Freunde und Nachbarn bin. Die uns nicht das Gefühl geben, radioaktiv zu sein und allein schon durch Sichtkontakt zu Staub zerfallen zu müssen… Das war also gestern. Ein schöner Tag. Ich habe mit Moscow Mule aus der Dose auf dem Balkon gesessen, dem Regen gelauscht und mich dabei wohlig gewärmt gefühlt. Dann kam “heute”. Montag. Ohnehin der überflüssigste Tag der Woche.

Die Kinder beschäftigen sich nicht ganz so prima allein wie die letzten Tage. In drei von vier WebCos kommt einer in mein Schlafzimmerbüro, sucht Batterien oder flüstert mir so dermaßen Laut irgendwas zu, dass man das natürlich hört. So kann ich nicht arbeiten, Leute! Das ist nicht mein Anspruch an mich und meine Arbeit, auch wenn ich genau weiß, dass ich die Einzige bin, die wirklich ein Problem damit hat. Aber heute scheint auch einfach wieder die Sonne, das Wochenende steht vor der Tür, an dem ich eigentlich eine meiner ältesten Freundinnen in Düsseldorf besuchen wollte, die bald ein Kind bekommt. Außerdem hätte ich eine Freundin getroffen, die demnächst wieder für viele Monate in Afrika sein wird… Das macht mir einfach schlechte Laune leider…

Tag 9: Ich will raus aus der Truman-Show und verschicke verschlüsselte Botschaften

Der längste Tag des Jahres fällt dieses Jahr auf einen Sonntag. Wie passend. So haben wir richtig viel Zeit, diesen schönen Sommertag von drinnen zu bewundern. 
Ich habe gestern schon wieder vergessen, mein „Corona Tagebuch“ fürs Gesundheitsamt zu schreiben. Ich muss allerdings ohnehin immer nur ein Kreuz bei „keine Symptome“ machen. Da mein Selbstmitleid langsam in Wut und Zynismus übergeht, schreibe ich heute in das Freitextfeld darunter, wie es mir psychisch geht. Ich will herausfinden, ob ich auf diese Art irgendwem da draußen außerhalb dieser seltsamen Trumann-Show verschlüsselte Nachrichten senden kann, der mich dann aus diesem seltsamen Film erlöst. Heute habe ich daher in das Webformular geschrieben, ob mir jemand Antidepressiva vorbeibringen könne. Ich will testen, ob das jemand liest. Ich denke nicht.

Ansonsten bin ich einfach nur schlapp und möchte liegen bleiben. Irgendwer oder irgendwas hat mir den Antrieb blockiert. Ich weiß nicht, was ich machen kann, ich habe zu nichts Lust. Ich zwinge mich, mit den Kindern was zu basteln. Piratenschiffe aus Eierkartons. Yipiehyeah.

Vielleicht mache ich doch lieber was von der Liste, der Dinge, die ich schon immer mal während eines herrlichen Sommertages machen wollte: Also mache ich den Backofen sauber. Alle, die jetzt denken: dieses undankbare Weichei. Anstatt vor Freude durch die Wohnung zu tanzen, dass sie offenbar noch immer nicht mit Corona infiziert bin, suhlt sie sich in Selbstmitleid. Ja genau, das tue ich. Weil ich dieser Situation nichts, einfach gar nichts Positives abgewinnen kann. Das konnte ich noch in der ersten Quarantäne im März, den Karneval noch wie eine euphorisierende Droge im Blut. Aber nicht mehr nach drei Monaten und 24 Stunden Kinderbetreuung und der zweiten Quarantänen. Das Schicksal ist ein mieser Verräter.

Während ich die Balkontür öffne, um die Dämpfe des Backofensprays rauszulassen (übles Zeug – da gibt es sicherlich auch umweltfreundlichere und ungiftigere Alternativen) beobachte ich die Nachbarn auf der gegenüberliegenden Terrasse beim Yoga. Wahrscheinlich sollte ich das besser tun. Yoga statt Selbstmitleid, aber das dafür bin ich heute doch zu müde…

Die Kinder spielen den halben Vormittag vertieft mit ihren Eierkarton-Piratenschiffen und mir beginnt, ein Licht aufzugehen, nachdem mir in meiner Facebook Timeline zu allem Überfluss folgender Spruch angezeigt wird: „Auch aus Steinen, die einem  in den Weg gelegt werden kann man Schönes bauen“. Ist das die Antwort aus der Truman-Show? Ich trete also kurz neben mich und stelle fest: Ich bin zwar in meiner Wohnung eingesperrt. Aber immerhin mit den Menschen, die ich über alles liebe. Also es geht WIRKLICH schlimmer…

Ich wische den Backofen grob aus, höre eine zeitlang einfach nur den Kinder beim spielen zu und später mache ich mit Ihnen eine ausführliche Star-Wars Weltraumschlacht. 

Tag 10: Corona-Eltern und angehende Fortnite-Profis

Ich habe heute keine rechte Lust zu arbeiten. Irgendwie ist die Luft raus und ich fühle mich urlaubsreif. Noch drei Wochen bis zum Urlaub, zumindest wenn nichts Unvorhergesehenes (haha) mehr passiert.

Die Kinder spielen seit Stunden irgendwelche Handyspiele. Wenn das so weiter geht, wird einer von den beiden wahrscheinlich mit 12 Jahren Fortnite Profi und zieht nach Südkorea. Die Lehrerin hat die Aufgaben für den Lernplan geschickt. Interessiert mich nicht mehr. Unter das Thema Schule haben wir für dieses Schuljahr irgendwie letzten Montag einen Strich gemacht. Auch wenn ich die Schüler in der gegenüberliegenden Grundschule meines Sohnes in den Pausen lachen, rufen und quatschen höre – irgendwie sind wir da jetzt raus. Das  hat nichts mit uns zu tun. 

Der Tag hat sich schon morgens blöd angefühlt und er wird immer blöder. Ich realisiere, dass wir uns ja jetzt eigentlich auf der Zielgeraden befinden und der Countdown begonnen hat, aber direkt in Corona-Phase 2 übergehen. Wir fangen an, unser Leben nach der Quarantäne zu planen. Vielleicht werde ich paranoid, aber ich habe ganz schwer den Eindruck, dass sich doch einige in unserem Umfeld nicht gerade um unsere Gesellschaft reißen. Wir haben den Stempel: „Corona-Diagnose/Verdacht“ auf der Stirn und daher geht der ein oder andere doch besser auf Nummer sicher und meidet weitere 1-2 Wochen den Kontakt.

Ich habe oft den Vergleich des zu unrecht Angeklagten und ohne faires Verfahren Inhaftierten verwendet und auch jetzt fühlt sich das wieder so an. Die Strafe ist vielleicht abgesessen, die Resozialisierung dauert aber nochmal genauso lang. Nicht bei allen, aber bei einigen und am meisten Sorge habe ich, dass die Kinder das irgendwie zu spüren bekommen. We will see.

Mein Mann und ich streiten uns heftig. Ich glaube so heftig, wie seit Jahren nicht mehr. Diese Situation ist eine sehr große Belastung für Familien. In einem ohnehin schon sehr fragilen Gebäude von zwei Berufstätigen wurde eine tragende Mauer rausgeschlagen. Die Möglichkeit der Fremdbetreuung. Beim kleinsten Lüftchen gerät das Gebäude nun ordentlich ins Wanken. Wir strecken hier unsere Arme aus und stützen und dann rennen wir wieder zur nächsten Ecke, wenn es dort anfängt zu schwingen. Wir können auf diese Art das Haus aber nicht dauerhaft stabil halten und irgendwann stürzt es ein.

Abends kommt eine Kollegin vorbei und bringt mir Dinge zur Beschäftigung und zur Belustigung. Ich bin total gerührt und kann gar nichts sagen. Es ist schön zu wissen, dass man so liebe Menschen um sich hat und ich vermisse es, sie zu drücken.

Tag 11: Was wir alles von Kindern lernen können

Habe ich schon gesagt, was Kinder doch für erstaunliche Geschöpfe sind und mit welcher Größe sich die Kleinen Situationen anpassen? Das war natürlich nicht immer so, insbesondere nicht im Kleinkindalter. Aber mein 7-jähriger ist einfach ein Phänomen. Er hat sich noch kein einziges Mal beklagt, dass er nicht in die Schule darf – und dabei geht er so gerne. Er nimmt täglich den Besen und kehrt die Küche und den Flur. Unaufgefordert. Einfach, weil er helfen will. Er ist dankbar, dass er so viele Hörspiele hören darf, beschäftigt seinen Bruder und hält damit das ganze System am laufen. Auf der einen Seite tut mir das so leid, dass er durch Corona irgendwie viel zu schnell erwachsen und vernünftig geworden ist, auf der anderen Seite werde ich ewig dankbar sein, ein so einfühlsames, kluges und hilfsbereites Kind zu haben. 

Tag 12: Getrübte Urlaubsvorfreude

Es ist schon sehr warm draußen und ich bin total müde. Irgendwie fühle ich mich heute  erschöpft und antriebslos. Letzte Woche war die Arbeit noch mein Anker, jetzt empfinde ich sie als Belastung, weil sie mich am schlafen hindert. Außerdem ziehen sich die Tage wie Kaugummi. Einer wie der andere, immer dieselben Abläufe: Nach dem Frühstück spielen die Kinder eine Stunde irgendwas auf dem Handy, dann hören sie Hörspiele bis zum Mittag. Ich mache essen mit Hilfe einer Kochbox. Das Zubereiten von Rezepten inklusive aller benötigten Zutaten ist dabei das Highlight meines Tages. Ich bin kein großer Koch und hier kann ich wenig verkehrt machen und muss wenig denken. Das kommt mir entgegen. Danach wieder Hörspiele bis 15:30 Uhr, dann 1-2 Stunden Fernsehen und ab 18 Uhr liest eine der Omas den Kindern etwas über Facetime vor. Auf diese Art können mein Mann und ich beide arbeiten.

Mich langweilt dieser Ablauf so sehr. Ich brauche Abwechslung. Ich will raus! Die lieben Gesten von Freunden, Nachbarn und Kollegen muntern definitiv auf und dennoch zwingt uns diese Eintönigkeit in die Knie. Die Aussicht auf das, was nach der Quarantäne wieder möglich sein wird, das sollte einem doch jetzt eigentlich wieder Auftrieb geben.

Die Aussicht auf Urlaub gehört normalerweise zu den Dingen, die mich motivieren durchzuhalten. Irgendwie hat sich jetzt allerdings so ein negatives Grundbild bei mir festgesetzt. Mein ohnehin vorhandener Zweckpessimismus macht mich zu einem Menschen, der ich nicht sein will. Ich will mich vorsichtshalber mal nicht zu sehr auf den Urlaub freuen. Wer weiß, was noch alles kommt. Österreich hat heute eine Reisewarnung für NRW herausgegeben, aufgrund des Coronaausbruchs beim Fleischprodzenten Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Lassen die Österreicher uns vielleicht gar nicht rein in drei Wochen?

Die letzten drei Monate haben uns gelehrt, dass man eigentlich wenig planen kann. Wo ist das selbstbestimmte Leben hin? Unser Leben wird plötzlich diktiert von neuen, äußeren Einflüssen und zwingt uns ständig, Wege anzupassen. Einen Schritt vor und zwei zurück zu gehen. Der Verlust von Selbstwirksamkeit führt zu Hilflosigkeit und so viel weiß ich noch aus meinen Vorlesungen zu klinischer Psychologie im Studium: Dieses Gefühl ist typisch bei Depressionen. Was wird die Unberechenbarkeit mit uns machen? Macht sie uns widerstandsfähiger, adaptiver oder führt sie über kurz oder lang zu einer Zunahme an Depressionen? Ich bin kein Soziologe und ich möchte meine eigenen Erfahrungen und Empfindungen nicht verallgemeinern. Ich mache mir dennoch Sorgen um das, was dieses Virus mit der Gesellschaft macht. Ich hoffe einfach, dass Isolation, Misstrauen, Stigmatisierung und Ängste nicht zu bleibenden sozialen Phobien führen.

Tag 13: Meine persönliche Reiz-Frage

Heute morgen ruft mal wieder eine sehr freundliche Dame vom Gesundheitsamt an, die eine Frage stellt, die man mir im Moment einfach besser nicht stellt: „Wie geht es Ihnen?“ Ich kann nicht mehr an mich halten: „Sie wollen ja nur wissen, ob ich irgendwelche Corona-Symptome habe. NEIN!!!! ICH nicht und KEINER hier in diesem Haushalt im Übrigen, so wie ich das auch jeden Tag in dieses verdammte Online-Formular eintrage. Wie es mir aber psychisch mit dieser Situation geht, dass interessiert hier ja keinen.“ Ich hole kurz Luft und entschuldige mich bei der wirklich sehr freundlichen und verständnisvollen Frau, die ich da völlig ungerechtfertigterweise anblaffe. Sie verstehe meine Situation, auch in Hinblick auf die Temperaturen draußen, wirklich sehr gut. Ich räume etwas verschämt ein, dass sie ja nur Vorschriften zur Sicherheit aller befolgt. Die wirklich extrem freundliche, verständnisvolle und zudem sehr geduldige Frau erkundigt sich bei der Gelegenheit noch nach dem Zustand der Kinder und verabschiedet sich dann.

Danach gehe ich entsprechend genervt an meine Arbeit, die Kinder hören die 47. Folge Drei Fragezeichen Kids und ich versuche heute nichts zu arbeiten, wo ich viel kaputt machen kann. 

Am Montag beginnen die Sommerferien. Leider hatten wir in unserer Post-Lockdow-Euphorie die Illusion, dass wir die erste Ferienwoche keine Betreuung für unseren großen Sohn benötigen, da er sicher mal hier und mal da mit Schulfreunden spielen kann, ob bei uns, bei anderen oder auf dem Spielplatz. Mein Mann arbeitet ja ohnehin zu Hause und die Großen sind schon so selbständig, dass man tatsächlich ungestört arbeiten kann.

Für Montag hatte eine Freundin angeboten, ihn zu übernehmen. Ich will unbedingt mal wieder ins Büro! Einfach mal wieder raus und andere Leute sehen. Nachmittags bekomme ich die Nachricht, dass sie und ihr Mann nochmal gesprochen haben und es ihm nicht so recht ist, wenn andere Kinder im Haus sind. Ich fühle gar nichts mehr. Keine Wut, keine Trauer, kein Unverständnis. Ich antworte: ok. Wir sind drei Monate allein zurecht gekommen, wir werden das auch noch eine weitere Woche.

Dieses Virus zerstört mein Leben, so wie ich es kenne und liebe. Überall Misstrauen, Angst, Zurückhaltung. Erlernte Verhaltensmuster und die eigene Intuition, sie wird plötzlich ständig neu hinterfragt und führt zu unnatürlichem Verhalten. Werden die aus der Krise stark hervor gehen, die schnell in der Lage sind, dieses neue unnatürliche Verhalten zu adaptieren oder die, die versuchen, das Leben möglichst normal weiterzuleben?

Jetzt bereite ich mich mal langsam auf mein altes Leben vor. Ich schaue mit ganz viel nostalgischen Gefühlen an das unbeschwerte Leben mit Anfang 20 auf Netflix die Serie Berlin Berlin und lackiere die Fuß- und Fingernägel in einer Farbe, die meinem neuen Lieblingsgetränk Erdbeersecco am nächsten kommt…

Corona-Eltern
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Tag 14: Ein verunglücktes Risotto

Ich hasse das, wenn sich Gefühle in mir breit machen, die ich nicht kontrollieren kann und die ich erst recht nicht empfinden will.

Ich bin neidisch. Auf meinen Mann. Seine Quarantäne ist abgelaufen und er darf raus. Ich bin sauer. Auf das Gesundheitsamt, dass die mich hier einfach weiter schmoren lassen (bei den aktuellen Temperaturen sprichwörtlich im wahrsten Sinne des Wortes).

Warum habe ich denn jetzt plötzlich schon wieder so miese Laune? Ich will das nicht und ich finde keinen Schalter, um das auszuschalten. Zudem habe ich das mieseste Risotto aller Zeiten gekocht heute. Ungenießbar eigentlich. Ich bin genervt von mir selbst, dass ich mich überhaupt darüber aufrege, obwohl allseits bekannt ist, dass ich nicht wahnsinnig gut kochen kann. Deswegen tue ich das in der Regel auch nicht. Nur aktuell ist das leider recht alternativlos.
Die Kinder sind busy. Sie wollen unbedingt noch während der Quarantäne die 60. Folge Drei Fragezeichen Kids gehört haben. Ziele muss man haben, dann geht der Tag offenbar von ganz alleine rum… Ich setze mich also wieder an die Arbeit. Ist ja nicht so, dass ich nichts zu tun hätte.

Tag 15: „Dann läuft Ihre Quarantäne um 24 Uhr aus“. „Halleluja“

Wir machen all zusammen die Wohnung sauber. Für den Fall der Fälle, dass sich tatsächlich demnächst wieder jemand in unsere Corona-Bude traut. Außerdem wage ich es tatsächlich mein Leben nach der Quarantäne zu planen. Es besteht schließlich tatsächlich die theoretische Möglichkeit, dass ich meinen Geburtstag Mitte Juli werde feiern können. 

Dann der letzte Anruf vom Gesundheitsamt. „Wie geht es Ihnen? Irgendwelche Symptome?“ Ey, ich spring dir gleich durchs Telefon! „Nein, immer noch nicht.“ „Blabla und Ihre Kinder?“ „Auch nicht.“ „Dann läuft Ihre Quarantäne also heute nach um 24 Uhr aus!“ Ich bringe noch ein „Halleluja“ heraus und lege dann auf. Ich hoffe, ich habe zumindest Tschüss gesagt. Sicher bin ich aber nicht.

Meine gute Kinderstube ist dahin…

So, das war’s erstmal mit meinem Psychogramm aus zwei Wochen Corona-Quarantäne. Genug mit Mimimi, Schwarzmalerei und Weltschmerz. Ich hole mir und meiner Familie jetzt unser Leben zurück!

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4 Responses
  1. Patricia Govers-Tesch

    Vor allem deunem beschreiben diesen Quarantäne Zeit hat mich sehr beeindruckt liebe Antje! Ich finde es wahnsinnig toll wenn Menschen auch Mal ihren negative Gefühle mit oder ohne Ironie, beschreiben können. Mich hat es an das wahnsinnig tolle Buch von Goethe erinnert „das Leiden des jungen Werther s“….unter alle Bücher den ich gelesen haben einen „eye-opener“ dass es JA toll ist auch Mal Gefühle zu haben und beschreiben. Deine Bilder dazu sind sowieso immer ganz toll individuell. Außerdem von euch beide sehr toll eingerichtet das ganze. Alles liebe und bitte weiter so oder mehr!
    Grosses Lob von mir. Weiter so

    1. Danke, Patti, es ist immer gut, erstmal die Familie lesen zu lassen, die ist so wunderbar wohlwollend und macht Mut, das Ganze dann tatsächlich demnächst zu veröffentlichen 🙂

  2. Ilka Schämann

    Dein Blog ist super geworden. Dein Corona Tagebuch, Wahnsinn. Ich war mittendrin in Deinem Corona-Wahnsinn. Viele Bilder im Kopf. Wie schön, dass Ihr alles überstand habt und wir uns auch schon wieder getroffen haben. Bitte mehr, bin gespannt.

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